Dienstag, 27. Oktober 2009

Abschied nehmen

Ich war am vergangenen Freitag abends um halb sechs mit der Süßen und den beiden Jungs bei meiner Omi. Sie lag in ihrem Schlafzimmer im Bett und strahlte mich mit hellen und wachen Augen an. Es ist bemerkenswert: ihre Sprache und ihr Geist sind klar, nur der Körper ist auf 36 kg abgemagert. Wenn ich Omi zur Begrüßung umarme, spüre ich nur noch Haut und Knochen.

Mein Vater ist voll des Lobes auf den Großen, der direkt zu Omi ans Bett geht und sie begrüßt und keinerlei Berührungsängste hat. Auch der Kleine kennt keine Vorbehalte und hat ihr zur Begrüßung ein Überraschungsei mitgebracht und ihre Hand gehalten und sie frühlich angelächelt.

Um sechs Uhr abends habe ich Omi Tee mit dem Strohhalm zum Trinken gegeben und ihr dabei die Hand mit meiner Hand gehalten. Sie hat mich mit sanften Augen angeschaut - und dabei so lieb wie ein Engel geguckt. Da war es mit mir vorbei. Ich habe meine Tränen nicht zurückhalten können. Erst kullerte eine Träne aus dem rechten Auge und bereits umgehend die zweite Träne aus dem linken Auge. Wir hielten uns an beiden Händen und sie lächelte mich an. Sie meinte: "Ob K. und T. morgen wirklich kommen?" Ich erwiderte: "Natürlich."

Und so unterhielten wir uns weiter. Sie bedauerte, dass der Winter vor der Tür steht und nicht der Sommer. Sie merkte an, wie sehr sie sich freut, dass ich mit der Süßen und den beiden Kindern bei ihr bin und sie besuche. Sie fragte mich, wieso nicht alle lieb zu ihr sind. Ich erklärte ihr, dass sie zu allen lieb ist und es die anderen sind, die nicht lieb sind. Sie erwiderte, dass sie doch alle sehen möchte und sich wünscht, dass sich alle wieder mit ihr vertragen.

Es fiel mir so schwer, die Contenance zu wahren und stark zu sein. Aber innerlich war ich so aufgewühlt und traurig und leer. Nach einiger Zeit hatte ich keine Kraft mehr, schickte meinen Bruder zu Omi und rettete mich mit Tränen in den Augen auf die Toilette, wo ich hemmungslos weinte und schluchzte. Ich schämte mich meiner Tränen nicht, sondern ließ ihnen freien Lauf. Ich war regelrecht geschüttelt von einer Weinattacke zur nächsten. Es ist 10 1/2 Jahre her, seitdem ich so traurig war und geweint habe. Damals ist meine Oma im Alter von 66 Jahren am schlimmen Krebs gestorben.

Ich hörte durch die geschlossenen Badezimmertür, wie mein Dad zu Omi ging und zu ihr sagte: "Schön, dass alle da sind", und Omi erwiderte "Ja.". Als ich das hörte, musste ich schon wieder weinen. Die Tränen rannen mir schon wieder die Wangen hinunter. Anschließend wünschte sich Omi von den Anwesenden das Kirchenlied "Großer Gott, wir loben Dich". Mein Dad stimmt es an und erneut musste ich weinen. Ich höre Omis hellen und kräftigen Klang ihrer Stimme und bin so sentimental.

Am Ende war ich bestimmt eine Viertelstunde allein im Bad und ging mit kaltem Wasser erfrischt wieder zu Omi und den übrigen, um mir nichts anmerken zu lassen. Meine Entschuldigung war, dass ich angefasst und indisponiert sei.

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